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Deutschlands vergessene Kolonialgeschichte: Ein Blick auf die Berliner Konferenz

Berlin, Deutschland – Ein unscheinbares Schild an der 77 William Street in Berlin erzählt eine Geschichte, die viele lieber vergessen würden. Hier, wo einst die Schicksalskonferenz für Afrika stattfand, prangt ein neues, farbenfrohes Schild, das die koloniale Vergangenheit Deutschlands ins Bewusstsein rückt – und das, obwohl die meisten Passanten es ignorieren. Während Touristen zur Berliner Mauer eilen, bleibt dieses Stück Geschichte unbeachtet, und selbst die Angestellten in den umliegenden Cafés wissen nicht, was hier vor 140 Jahren geschah.

Im Winter 1884 versammelten sich europäische Führer in diesem Gebäude, um Afrika unter sich aufzuteilen. Ein Treffen, das die koloniale Ausbeutung des Kontinents beschleunigte und dessen Folgen bis heute spürbar sind. „Ich habe nie viel über Kolonialismus gehört“, sagt die Berlinerin Sanga Lenz, die erst 2020 durch ein altes Foto eines Verwandten, der in den Kolonien diente, auf die Verbindung ihrer eigenen Geschichte stieß. „In der Schule ging es nur um den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg. Über unsere koloniale Vergangenheit wurde nie gesprochen.“

Ein vergessener Teil der Geschichte

Die Berliner Konferenz, die vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 stattfand, war ein Wettlauf um die Kontrolle über Afrika. Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Portugal drängten afrikanische Führer, Verträge zu unterzeichnen, die ihre Souveränität untergruben. Otto von Bismarck, der damalige Kanzler, lud seine europäischen Kollegen ein, um einen Krieg um die Kolonien zu vermeiden. Doch die Konferenz war nicht nur ein diplomatisches Treffen; sie legitimierte die brutale Ausbeutung Afrikas.

„Die Konferenz war ein Symbol für europäische Gier und Überheblichkeit“, erklärt der Forscher Jack Paine. Innerhalb von fünf Jahren nach der Konferenz stieg der Anteil kolonialisierter Gebiete in Afrika von 20 auf 90 Prozent. Die deutsche Schutztruppe war besonders brutal und führte zu Massakern an den Herero und Nama in Namibia. „Die Frauen wurden an deutsche Unternehmen vermietet“, berichtet die Aktivistin Sima Luipert, deren Urgroßmutter betroffen war.

Ein Aufruf zur Erinnerung

In Deutschland wird die koloniale Vergangenheit oft als unwichtig erachtet. Nadja Ofuatey-Alazard, eine Aktivistin, fordert mehr Aufmerksamkeit für diese dunkle Geschichte. „Deutschland hat sich auf die nationalsozialistische Vergangenheit konzentriert, aber die koloniale Geschichte muss ebenfalls anerkannt werden“, sagt sie. Um das Bewusstsein zu schärfen, organisiert sie seit 2020 „Dekolonisationskonferenzen“, bei denen afrikanische Delegierte die Auswirkungen der Kolonialisierung diskutieren.

Die jüngsten Wahlen in Deutschland haben jedoch die Besorgnis über die Zukunft der Erinnerungskultur verstärkt. Die konservative CDU hat gewonnen, während die rechtsextreme AfD an Einfluss gewonnen hat. „Die AfD ist gegen jede Form der Erinnerungskultur und sieht es als beschämend an, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen“, warnt Ofuatey-Alazard. „Wir wissen nicht, wie sich das auf unsere Arbeit auswirken wird.“

Die Spuren der kolonialen Vergangenheit sind in Berlin noch immer sichtbar. Justice Lufuma Mvemba, die die „Dekoloniale Stadtführung“ leitet, zeigt Touristen die Orte, die mit dieser Geschichte verbunden sind. „Die Reaktionen sind oft positiv, aber es gibt auch Widerstand“, sagt sie. „Einige Menschen können die weniger angenehme Seite Deutschlands nicht akzeptieren.“

Die Diskussion über die koloniale Vergangenheit Deutschlands ist dringend notwendig. Die Zeit ist reif, um die dunklen Kapitel der Geschichte zu beleuchten und Verantwortung zu übernehmen. Es ist an der Zeit, dass Deutschland sich seiner Rolle als koloniale Macht stellt und die Geschichte nicht länger ignoriert.