
Im Esslinger St. Paul fand das Abschlusskonzert des Tonart-Festivals mit dem Titel „Zeiten wenden“ statt. Dieses besondere Konzert war der Flötistin und Bürgerrechtlerin Maryja Kalesnikava gewidmet, die 2020 als eine der drei zentralen Figuren der Demokratiebewegung in Belarus in den Fokus der Öffentlichkeit trat. Kalesnikava wurde nach der gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt. Sie ist eine wichtige Stimme für Freiheit und Menschenrechte und wurde 2022 mit dem Theodor-Haecker-Preis von der Stadt Esslingen ausgezeichnet.
Das Konzert stand unter dem Motto „Ave Maryja“ und umfasste ein vielfältiges Programm mit solistischen Beiträgen und Ensembleaktionen, darunter zwei Uraufführungen. Auftakt machte das „Trio vis-à-vis“, gefolgt von Helmut Lachenmanns Stück „temA“ sowie Wojciech Blecharz’ „Blacksnowfalls“, das mit einer Performance von Aleksandra Nawrocka an der Pauke begleitet wurde. Matthias Hermann führte die Uraufführung von „Echo 3“ für fünf Schlagzeuger mit Klaus Dreher als Dirigent auf. Auf dem Programm standen auch Lesungen aus Frank Wörners „Zekamerone“, die das Leben im Gefängnis thematisieren. Tamara Kurkiewicz sorgte mit einem virtuellen Feuerwerk perkussiver Aktionen für besondere Akzente. Den Höhepunkt bildete die Uraufführung von „Ave Maryja“, gewidmet Maryja Kalesnikava, das von Klaus Sebastian Dreher dargeboten wurde. Die Musik spiegelte Kalesnikavas wechselvolle Biografie wider, indem sie sich von einem fröhlichen Renaissancetanz zu atonalen Klängen entwickelte.
Politische Hintergründe und aktuelle Entwicklungen in Belarus
Während der Ukrainekrieg derzeit viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind in Belarus über 1.000 politische Gefangene inhaftiert, darunter auch die Schwester von Maryja Kalesnikava, Maria. Diese äußerte ihren Zorn über den Krieg und bekräftigte ihren Wunsch nach Frieden, Gerechtigkeit und Güte. Präsident Lukaschenko hat seine Macht in einem Referendum bis 2035 ausgebaut und sich durch eine Verfassungsänderung Straffreiheit gesichert. In Belarus kam es zu spontanen Anti-Kriegs-Demonstrationen, an denen bis zu 100.000 Menschen teilnahmen, wobei etwa 1.000 Demonstranten verhaftet wurden. Lukaschenko unterstützt Putin und hat Militär an der Grenze zur Ukraine mobilisiert, was dazu führt, dass viele junge Belarussen aus Angst vor einer Einziehung flüchten.
Maryja Kalesnikava, die in Stuttgart studierte und perfekt Deutsch spricht, setzte sich in Belarus für das Wahlteam von Wiktar Babaryka ein, nachdem viele ihrer Freunde verhaftet wurden. In ihrer Motivation für Veränderung glaubt sie an die Kraft der Kultur als Soft Power. Maria Kalesnikava vermisst ihr früheres Leben und die Familie, aber sie würde sich erneut für den Protest gegen Lukaschenko entscheiden, da sie an die Möglichkeit eines Wandels glaubt. Ihre Hoffnung liegt in einem freien Belarus, in dem Menschenrechte und Demokratie regieren und politische Gefangene keine Realität mehr sind.