
Tausende Menschen haben in der Türkei gegen die Festnahme von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu protestiert. Die Demonstrationen fanden sowohl in Istanbul als auch in Ankara statt. Die Protestierenden forderten den Rücktritt von Präsident Recep Tayyip Erdogan, während Imamoglu als bedeutender Herausforderer für die Präsidentschaftswahl 2028 gilt. Die türkische Opposition sowie die EU-Kommission äußerten sich empört über die Festnahme, die während einer Razzia erfolgte.
Imamoglu wird Korruption und Unterstützung von Terrorismus vorgeworfen. Während der Ermittlungen wurden mindestens 87 weitere Personen festgenommen; gegen 106 Personen wird ermittelt. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurde Imamoglu in die Polizeidirektion in Istanbul gebracht, wo die Aufnahme seiner Aussage bis Sonntag dauern könnte. Die CHP, die Partei von Imamoglu, bezeichnete die Festnahme als einen versuchten Staatsstreich. Zudem wurden Demonstrationen in Istanbul für vier Tage verboten und der Zugang zu sozialen Netzwerken war eingeschränkt.
Proteste gegen politische Repression
Am Istanbuler Stadtteil Fatih versammelten sich Studierende in der Nähe der Istanbul-Universität. Die Polizei stellte sich den Protestierenden in den Weg, und Berichte über den Einsatz von Tränengas kamen auf. Rund hundert Menschen versammelten sich auch vor dem Hauptquartier der Polizei in Istanbul und skandierten gegen die Regierungspartei AKP. Diese Proteste fanden trotz eines viertägigen Demonstrations- und Versammlungsverbots des Gouverneurs von Istanbul statt.
In Ankara versammelten sich Hunderte vor der CHP-Zentrale. CHP-Abgeordnete organisierten auch einen Protest im Parlament, wobei Parlamentspräsident die Sitzung abbrach, da die Abgeordneten das Rednerpult nicht verließen. Der CHP-Chef kritisierte die Situation als „Putschversuch“ gegen potenzielle Präsidentschaftskandidaten. In den Ermittlungen gegen Imamoglu wird ihm vorgeworfen, kriminelle Aktivitäten im Zusammenhang mit Stadtverwaltungsausschreibungen und Unterstützung der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) begangen zu haben.
Die Festnahme von Imamoglu, der als mächtigster Rivale von Präsident Erdogan gilt, hatte bereits zu einem Rückgang der türkischen Lira und einem Einbruch des Aktienmarktes geführt. Die Vorwürfe wurden von Imamoglu als „Lügen, Komplotte und Fallen“ bezeichnet. Auch seine Ehefrau kritisierte die Festnahme als politisch motiviert. Weitere Festnahmen, darunter von zwei Bürgermeistern und einem bekannten Sänger, zeigen das zunehmend autoritäre Klima in der Türkei.
Inzwischen wurde Imamoglu der Hochschulabschluss von der Istanbul-Universität aberkannt, was seine Kandidatur für das Präsidentenamt gefährdet. Imamoglu plant, gegen diese Aberkennung vor Gericht vorzugehen. Während Erdogans Präsidentschaft, die sich über mehr als 20 Jahre erstreckt, sieht die Verfassung vor, dass er 2028 nicht erneut antreten kann, es sei denn, es gibt vorgezogene Wahlen, was die Spannungen im politischen Klima der Türkei weiter anheizt.
Österreich und Deutschland verurteilten die Verhaftung von Imamoglu als Rückschlag für die Demokratie. Experten warnen allgemein vor einem weiteren Abdriften der Türkei in Richtung Autoritarismus und einem „zivilen Coup“.