Literaturtage: Navid Kermani über Europas Verantwortung für Afrika
Der renommierte Schriftsteller und Kriegsjournalist Navid Kermani hat bei den Literaturtagen in Schwäbisch Gmünd mit seinem Vortrag „Eine Reise durch Ostafrika“ die Herzen der Zuhörer erobert. In einem vollen Leutze-Saal stellte er sein aktuelles Buch „In die andere Richtung“ vor, das nicht nur seine Erlebnisse dokumentiert, sondern auch einen scharfen Blick auf die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Lage Europas wirft. Wie die Gmünder Tagespost berichtete, eröffnete Kermani den Zuhörern neue Perspektiven auf die Herausforderungen, vor denen Ostafrika steht, und stellte die Frage: „Geht uns das was an?“
Sein Buch fungiert als Blicköffner, insbesondere in Zeiten, in denen Katastrophen in Afrika oft nur sporadisch in den Medien behandelt werden. Kermani kritisiert, dass selbst die verheerende Hungerkatastrophe im Süden Madagaskars, die durch sieben Jahre Dürre und unzureichende internationale Hilfe ausgelöst wurde, kaum öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. „Die erste Hungerkatastrophe durch den Klimawandel hat keinen Aufschrei ausgelöst, weder in der Gesellschaft noch bei den großen Bewegungen wie ‚Fridays for Future‘ oder ‚Die letzte Generation‘“, so Kermani. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, mit der Europa sich diesen Themen widmen sollte.
Einblicke in die Realität Ostafrikas
Kermani hatte die Möglichkeit, durch einheimische Führer von Madagaskar bis zu den Nuba-Bergen im Sudan tiefere Einblicke in die Lebensrealitäten der Menschen zu gewinnen. „Gibt es Gerechtigkeit?“, fragte er die Einheimischen. Ihre Antwort war eindeutig: Sicherheit und die Möglichkeit, auf dem Feld für die eigene Nahrung zu sorgen, stehen an erster Stelle. Versöhnung, so die Meinung der Befragten, sei ein sekundäres Anliegen, das in der aktuellen Situation kaum Priorität hat.
Die Menschen in diesen Regionen sind von den Herausforderungen des Alltags geprägt. Die Dürre hat nicht nur die Ernte vernichtet, sondern auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gedämpft. Kermani schildert, wie die Bevölkerung trotz dieser Widrigkeiten versucht, ihren Alltag zu meistern und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Die Verbindung zwischen Europa und Afrika
Warum sollte Europa sich für die Geschehnisse in Afrika interessieren? Kermani gibt eine klare Antwort: „Es geht uns absolut etwas an.“ Die Globalisierung und die damit verbundenen Handelsketten schaffen eine Verbindung, die direkte Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und Gesellschaft hat. Ignoriert Europa die Probleme in Afrika, zeigt es nicht nur politische Schwäche, sondern wird auch anfällig für Angriffe von anderen Mächten.
In seinem Buch hebt Kermani hervor, dass Afrika für viele Europäer ein unbekanntes Terrain ist. Doch er zeigt auf, wie Musik bereits heute Brücken zwischen den Kulturen schlägt. Ein Beispiel dafür ist sein Gespräch über Jazz mit dem berühmten Musiker Mulatu Astatke in Addis Abeba. „Wenn sie auf Musik achten würden, würden sie merken, wie viel uns verbindet“, betont Kermani und fordert ein Umdenken in der Wahrnehmung zwischen den Kontinenten.
Die Literaturtage in Schwäbisch Gmünd waren somit nicht nur eine Plattform für Kermani, um sein Buch vorzustellen, sondern auch ein eindringlicher Appell, die Augen für die Herausforderungen in Ostafrika zu öffnen und die Verantwortung, die Europa trägt, ernst zu nehmen. In einer Zeit, in der die Welt näher zusammenrückt, ist es wichtiger denn je, sich mit den globalen Zusammenhängen auseinanderzusetzen und die Stimme für die Menschen zu erheben, die in der Stille leiden.