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Familienbande zerreißen: Pro-Palästina-Aktivistin wird verstoßen

Familienbande zerreißen: Politische Differenzen führen zu schmerzhaften Trennungen

Ein kalter Dezembertag in Wien, die Weihnachtsferien sind in vollem Gange. Dalia Sarig, eine leidenschaftliche Aktivistin für die palästinensische Sache, bereitet sich auf ein Treffen mit ihrem 80-jährigen Vater vor. Doch in der Luft liegt eine spürbare Spannung – ihre politischen Differenzen stehen kurz vor dem Höhepunkt.

„Ich umarmte ihn und wusste, dass es vielleicht das letzte Mal ist, dass ich ihn sehe“, erzählt sie Al Jazeera. In diesem Moment war Sarig sich der bevorstehenden Konfrontation bewusst, die ihre Familie für immer verändern könnte.

Ein schmerzhafter Bruch

Die Spannungen zwischen Dalia und ihrer jüdischen Familie haben sich über Jahre aufgebaut. Mit 56 Jahren ist sie eine pro-palästinensische Aktivistin, die in direktem Gegensatz zu den Überzeugungen ihrer Eltern steht, die dem Zionismus anhängen – einer Ideologie, die von vielen Palästinensern als Quelle ihres Leidens angesehen wird.

Bereits während des besagten Treffens wusste Sarig, dass sie im Januar an einer pro-palästinensischen Demonstration vor dem Parlament teilnehmen würde. Diese sollte von einem lokalen Fernsehsender aufgezeichnet werden. Entschlossen, gegen die Gräueltaten Israels in Gaza zu sprechen, ließ sie sich nicht aufhalten. Nach der Ausstrahlung der Interviewaufnahme hörte sie, dass ihr Vater zu Freunden gesagt hatte: „Für ihn bin ich gestorben.“

„Er hat nie mit mir darüber gesprochen, nie versucht, den Kontakt wiederherzustellen. Er hat einfach die Beziehung abgebrochen“, berichtet sie bitter.

Eine Woche später erhielt sie eine Nachricht von ihrer 77-jährigen Mutter aus Deutschland: „Ich akzeptiere deine politische Aktivität nicht. Du bist ein Verräter, der das Nest beschmutzt … Wenn du deine politischen Ansichten änderst, können wir wieder normal miteinander umgehen.“ Seitdem hat Dalia keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern.

Familienkonflikte in Zeiten des Wandels

Die Spaltung innerhalb jüdischer Familien ist kein neues Phänomen, hat sich jedoch seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des verheerenden Angriffs von Hamas auf Israel, verstärkt. An diesem Tag wurden 1.139 Menschen getötet und über 200 entführt. Die darauffolgenden israelischen Bombardierungen forderten mehr als 61.700 Todesopfer im Gazastreifen.

„Eine interessante Entwicklung unter liberalen Zionisten ist, dass die Mehrheit nach dem 7. Oktober nach rechts gerückt ist, während eine Minderheit noch unzufriedener mit Israel und dem Zionismus geworden ist“, erklärt der Autor und Akademiker Ilan Pappe.

Dalias Familie hat eine bewegte Geschichte – ihre Vorfahren flohen 1938 vor den Nazis nach Serbien und siedelten später in Palästina. In ihrer Kindheit feierte sie jüdische Feiertage und lernte von den Älteren über den Zionismus. Doch ihre Sichtweise begann sich zu verändern, als sie in Israel studierte und mit einem palästinensischen Professor in Kontakt kam. „Ich erkannte, dass die zionistische Erzählung falsch war“, sagt sie.

Zurück in Österreich wurde sie bei Familientreffen oft angegriffen, und die Versuche, das Thema zu meiden, scheiterten regelmäßig. 2015 gab sie ihre israelische Staatsbürgerschaft auf, um ein Zeichen gegen den Zionismus zu setzen. „Es erleichtert mein Engagement“, sagt sie.

Experten warnen jedoch, dass der Bruch mit der Familie erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann. „Soziale Isolation kann wie physischer Schmerz empfunden werden“, erklärt der Neurowissenschaftler Faissal Sharif.

„Die Verletzung, die entsteht, wenn Liebe und Akzeptanz von der Stille oder Komplizenschaft bei Gräueltaten abhängig gemacht werden, kann tief verwunden“, fügt er hinzu.

Inmitten dieser Konflikte plant Dalia eine Konferenz für jüdische Anti-Zionisten im Juni, um Stimmen zu bündeln und auf die Situation der Palästinenser aufmerksam zu machen. „Ich bin nicht das Opfer“, betont sie entschlossen.