
Gerhard Scharf, späterer Bürgermeister von Lüneburg, erinnert sich an eine dramatische Flucht aus Schlesien während des Zweiten Weltkriegs. Als Sechsjähriger floh er mit seiner Familie aus der kriegsgeplagten Region Schlesien. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs siedelten sich viele Vertriebene in der Region Lüneburg an. Am 18. April 1945 rollten britische Panzer kampflos bis zum Lüneburger Rathaus und veränderten somit die politische Landschaft.
In Schlesien war die Situation für viele Deutsche dramatisch, da Breslau von Hitler zur Festung erklärt worden war. Die Fluchtbewegungen der schlesischen Bevölkerung waren streng verboten, dennoch bereitete die Familie Scharf heimlich ihre Flucht vor. Sie packten einen Leiterwagen mit Lebensmitteln und Decken, während sich die Menschen um sie herum von Angst und Unsicherheit leiten ließen. Die Sorge um mögliche Reaktionen der russischen Truppen zeichnete ihr Vorhaben aus.
Fluchtbewegungen der schlesischen Bevölkerung
In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1945 brach schließlich die Front in Breslau. Die Familie Scharf versteckte sich zunächst im Wald, um den Russen zu entkommen. Am Morgen des 7. Mai 1945 kehrten sie in ihr Dorf Alt-Reichenau zurück. Dort herrschte emsiges Treiben, da viele Menschen sich auf die Flucht vorbereiteten. Umgehend packte die Familie ihren Leiterwagen und setzte sich am späten Vormittag des 7. Mai in Bewegung Richtung Tschechoslowakei.
Die Flucht gestaltete sich chaotisch durch zurückweichende deutsche Soldaten und russische Tiefflieger. Nach etwa 30 Kilometern legten sie eine Nacht in einem verlassenen Gasthof ein. Am nächsten Morgen trafen sie auf russische Panzer und Soldaten, die sie aufforderten, umzukehren. Die Rückfahrt war ebenfalls chaotisch, und sie erreichten am späten Nachmittag erneut ihr Zuhause.
Die Zeit nach ihrer Rückkehr war von Gewalterfahrungen durch russische Soldaten geprägt. Diese Erlebnisse wurden nicht als „Befreiung“ empfunden, sondern als besonders schlimm.
Mehrere Studien und historische Recherchen zur Situation der Deutschen in Schlesien ergaben, dass etwa 40% der Deutschen jenseits der Oder-Neiße aus dieser Region stammten. Zu Beginn des Jahres 1945 lebten rund 4,7 Millionen Menschen deutscher Staatsangehörigkeit in Schlesien. In den letzten Januartagen des Jahres 1945 nahmen sowjetische Truppen eine Vielzahl von Städten, darunter Kattowitz und Gleiwitz, ein. Viele Deutsche blieben zurück, da sie dem Befehl zum Dableiben nicht entziehen konnten.
Die Flucht der schlesischen Bevölkerung verlief, im Vergleich zu anderen ostdeutschen Gebieten, unter relativ günstigeren Bedingungen. Schlesien war nicht so schnell überrollt worden und Fluchtmöglichkeiten in die schlesisch-böhmischen Gebirge waren bis zuletzt offen. Dennoch litten viele Flüchtlinge unter Vergeltungsmaßnahmen und Gewalt in der Tschechoslowakei, wie den Berichten von Historikern zu entnehmen ist.
Die Erfahrungen der schlesischen Bevölkerung und die Fluchtbewegungen zu jener Zeit sind bis heute ein berührendes Thema in der deutschen Geschichte.