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Die Praxis von Psychotherapeutin Dorethee Dechmann in Bad Oldesloe ist vollständig ausgelastet. Die Nachfrage nach Therapieplätzen wächst immer weiter, weshalb Dechmann ihre Warteliste auf acht Personen beschränken musste. Sie hat Schwierigkeiten, Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen abzuweisen, da auch andere Praxen voll sind. Vor zwölf Jahren erhielt Dechmann eine Niederlassung von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH). Die Anzahl der Therapieplätze wird durch die Bedarfsplanung der KVSH geregelt, die aus den 1990er Jahren stammt.
Im Jahr 2022 waren etwa 25.400 Menschen im Kreis Stormarn wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung, was 11,4 Prozent der Bevölkerung entspricht. Viele Betroffene warten noch auf einen Therapieplatz. Diese Situation hat dazu geführt, dass Betroffene digitale Gesundheitsanwendungen nutzen können, die vom Hausarzt freigeschaltet werden, um die Wartezeit zu überbrücken. Dechmann betont jedoch, dass solche Apps eine Therapie nicht ersetzen können und dass oft die notwendige Motivation fehlt. Sie empfiehlt den Betroffenen, mit ihrem Umfeld zu sprechen und sich nicht zu verstecken, und fordert eine Reform der Bedarfsplanung, um mehr Niederlassungen zu ermöglichen.
Therapieplatzmangel trotz ausreichender Therapeuten
Im Kreis Stormarn arbeiten derzeit 83 niedergelassene Psychotherapeuten auf etwa 52,5 Stellen (Stand April 2024). Die Region wird laut Bedarfsplanung als überversorgt betrachtet, was die Möglichkeit neuer Niederlassungen derzeit ausschließt. KVSH-Sprecher Marco Dethlefsen räumt ein, dass die Bedarfsplanung nicht immer die tatsächliche Nachfrage widerspiegelt.
Auf bundesweiter Ebene ist die Situation ähnlich. Die Zahl der Kassensitze in Deutschland ist durch die Bedarfsplanung von 1999 begrenzt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist dafür verantwortlich und entscheidet über die Niederlassung von Therapeuten und Ärzten sowie über die von Krankenkassen übernommenen Leistungen. Ziel der Bedarfsplanung ist es, die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen sicherzustellen und eine Überversorgung in Großstädten zu vermeiden.
Die Bedarfsplanung von 1999 basierte auf der Annahme, dass die Versorgung zu diesem Zeitpunkt ausreichend war. Es wurde festgelegt, dass mehr Therapeuten als 1999 nicht zugelassen werden sollten, und neue Kassensitze sollten nur bei frei werdenden Sitzen vergeben werden. Obwohl es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass Menschen auf dem Land weniger psychisch erkranken, haben ländliche Gebiete weniger Kassensitze als Großstädte. Im Jahr 2019 wurde beschlossen, 800 neue Kassensitze zu schaffen, was laut der Bundeskammer der Psychotherapeuten nicht ausreicht. Ein Gutachten des G-BA empfiehlt zusätzlich 2400 Kassensitze bundesweit.
Der G-BA sieht das Problem jedoch nicht in der Anzahl, sondern in der Verteilung der Kassensitze. Es gibt bereits überversorgte Regionen, in denen Sitze abgebaut und umverteilt werden sollten. Um die Behandlungskapazitäten zu erhöhen, schlägt der G-BA vor, Konzepte wie Gruppentherapien stärker zu berücksichtigen. Es bestehen zudem unterschiedliche Einschätzungen zu den Wartezeiten auf Therapieplätze zwischen der Bundespsychotherapeutenkammer und dem G-BA. Während der G-BA angibt, dass die Wartezeit maximal 15 Tage beträgt, kritisiert die Bundespsychotherapeutenkammer methodische Schwächen in diesen Zahlen.
Junge Therapeuten stehen vor der Herausforderung, einen Kassensitz zu erhalten, da sie diesen von einem abgebenden Kollegen erwerben müssen. Die Kosten für einen Kassensitz liegen je nach Region zwischen 20.000 und 100.000 Euro. Zahlreiche Petitionen kritisieren das aktuelle System und fordern die Politik zu Änderungen auf. Die regierende Ampelkoalition hatte im Koalitionsvertrag Reformen zur Reduzierung der Wartezeiten versprochen, doch bisher sind keine signifikanten Fortschritte erzielt worden.